Geduldspiel Digitalisierung
Leeve Jonges,
Digitalisierung ist in aller Munde. Veränderungen sollen möglichst schnell, in die Breite und wie selbstverständlich in die Gesellschaft getragen werden. Nicht nur in der Gesellschaft, auch wenn wir auf die Unternehmen schauen, erwartet man dort die Veränderungsbereitschaft von allen Mitarbeitern. Das wird gern mit modernen Schlagwörtern wie Agilität, Transformation oder Geschwindigkeit verknüpft. Dies lässt immer mehr den Schluss zu, dass Schnelligkeit das Maß der Dinge in unserer modernen Zeit geworden ist.
Wenn beispielsweise heutige Manager nach ihren Schwächen gefragt werden, nennen sie gern: Ungeduld. Das wirkt ein kleinwenig selbstkritisch, lässt sie aber vor allem als energische, entscheidungsstarke Macher erscheinen. Langmut als gegenteilige Tugend? Gilt nicht als Führungseigenschaft. Überhaupt scheint Geduld nicht mehr zeitgemäß zu sein. Die Ungeduld führt, wie ich neulich lass, zu einer Art konsumkapitalistischer Alzheimer.
Kurzum: Wir wissen zwar nicht, wohin wir wollen, kommen dafür aber schneller an.
Ein Beispiel aus der Technik: Ursprünglich meinte man mit Hardware jene Teile eines Systems, die langfristig funktionieren sollten – und deshalb im besten Fall von hoher Qualität sein müssten. Das Betriebssystem (Software) wiederum war zur dynamischen Weiterentwicklung des Systems, also der Hardware, da. Das eine war eine Plattform, das andere ihre Aktualisierung und stetige Verbesserung. Heute haben Updates ein anderes Ziel, sie vernichten brauchbare Substanz. Machen aus Smartphones und Computern „lahme Enten“.
Darüber mag man sich ärgern. Aber es wäre nicht möglich, wenn dabei nur das Kalkül der Hersteller eine Rolle spielen würde. Es sind auch wir: Die User. Wir gieren nach Neuem und man gibt sich meist mit Krümeln statt echten Innovationen zufrieden – jedenfalls für kurze Zeit.
Doch Geduld werden wir künftig mehr brauchen als je zuvor. Denn eine Gesellschaft, die mit Wissen gewinnen will, kommt mit dem gewohnten des Industriezeitalters nicht mehr weit. Der technische Fortschritt hat nicht nur unseren Alltag beschleunigt, er eröffnet auch ganz neue Möglichkeiten. Vorausgesetzt er wird mit Entschlossenheit und vor allem Durchhaltevermögen kombiniert.
Doch was macht die Geduld aus?
Die Fähigkeit zu differenzieren: Was ist wichtig, was ist dringend!
Das gespiegelt auf die Jonges, heißt für uns, an Themen dran zu bleiben, alle Meinungen zu berücksichtigen und am Ende im Sinne unserer Heimatstadt Düsseldorf als Geduldsprobe zu handeln. Aktuelle Themen werden gern durch Ungeduld zu kurzfristigen, parteipolitischen oder persönlichen Entscheidungen getrieben; das langfristige Ziel gerät dabei schnell aus dem Auge.
Wichtig ist, dass wir eine Vorstellung von Veränderung gewinnen, die auf uns zukommt oder schon in vollem Gange ist. Wir müssen lernen, aus der Zukunft über die Gegenwart zu denken – und sollten die Digitalisierung nicht in „Gadgets“ und Updates suchen. Die Digitalisierung und Agilität beginnt bei jedem von uns mit seiner Einstellung sowie dem „Umparken“ im Kopf.
Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Gerne auch länger.
Herzliche Grüße,
Timo Greinert