Künstler als Krieger und Forscher
Laudatio auf Tony Cragg von Prof. Markus Lüpertz Bei der Überreichung des Künstlerpreises der Jonges würdigte Markus Lüpertz den Preisträger Tony Cragg. Diese Würdigung vom 2. Mai 2017 dokumentiert „das tor“: „Tony Cragg ist ein klassischer Bildhauer, der sich eine neue Welt schaffen musste, um sie dann mit Skulpturen zu bevölkern – mit seinen Skulpturen, seinen anfänglich rüden und revolutionären Arbeiten. Artikuliert in einer eigenen Organik stellt er sie unter einen eigenen Himmel auf eine eigene Erde in eine von ihm geschaffene Atmosphäre. Käferrücken, Müllhalden, amorphe Höhlungen und schwer bewegbares Eisen. Er sammelt Vergangenes – greift – unvergriffen Vergriffenes – auf und formt daraus einen individuellen Rhythmus und ruft in diesem Takt aus Zerbrochenem und Abgebrochenem Spiegelbilder hervor, Phantome einer eigenen Erinnerung und Ahnung. Weiße Wände, auf denen Schattenspiele von Menschen erzählen, die so noch nie gesehen wurden, zerbrochene Krüge, schwarze Scherben, kein weicher Ton, Stacheltiere einer zerstörten Harmonie machten Banales zu blasphemischen Spielsteinen, ein buntes Domino, ein « und doch » spielerisches Mensch-ärgere-Dich-nicht war er zu dieser Zeit ein zweidimensionaler Bildhauer. Dann bekamen die Panzerhäuser Käferburgen. Hartes Gestein gegen weiches Holz – glatt-rauhe Kurven, Kanten, Schnecken, Muscheln verkleben sich zu amorphen Formeneiner nicht erinnerbaren Kultur – eines der vielen Geheimnisse in der Skulpturenwelt des Tony Cragg. Vielleicht ist dieses ganze Wollen von Tony Cregg dem Meer entrissen, vielleicht aus eingestürzten Tempeln geraubt? Vielleicht hat er ein im Kriege zerstörtes Museum entdeckt, das, vergessen unter Englands Häusern, in einem nie erforschten Kellerlabyrinth überdauert hat und nun von ihm geplündert wurde. Vielleicht ist er kopfüber in eine Erdspalte gestürzt hinab zu den Urformen oder kletterte in den Gerüsten, die die Welt zusammenhalten, stöberte auf unbekanntem Grund oder in den Eingeweiden der uns unbekannten Unterwelt – dem europäischen Hades – er wagte es Urformen, Gnome, Trolle ans Licht zu zerren und schuf mit diesem Gewürm neues Leben. Er erschuf – und das meine Damen und Herren ist der wahre Tony Cragg – den Künstler als Krieger und Forscher. Bewegt von göttlicher Fügung ist der getrieben den Auftrag zu vollende, erst schuf er das Innere die Därme, die Mägen, verspannte Adern flocht Knoten, steckte Holz und Staken zu bizarren Gerippen – und fand dann in der Bronze die Haut, eine Haut, die diese bizarren Gerüste zur Anmut verdammte! Glauben Sie nicht, dass Tony Craggs Ausbuchtungen, Kurven und rasant fliehende Formen reine Willkür sind – nein – denn sie werden aus einer inneren Kraft geboren, die jedes Vor- und Hinterher, Rein und Raus und noch einmal höher und dreimal gefaltet um sich dann empor oder nach rechts nach links und immer in Bewegung und immer sich aus dem anderen windend zeigt. Er will – und hat dies schon vorherbestimmt und nicht nur als Wille und Vorstellung, sondern gereift zur zwingenden Formen – will es mit Emphase zelebrieren. Das ist das Leben einer Skulptur, nur so lebt eine Skulptur geküsst vom Künstlers, der seine Schöpfung nachts, wenn er alleine bei schwacher Beleuchtung sein Atelier betritt streichelt – das Pulsieren der gefangenen Kräfte spürt, um dann mit Grazie und Hingabe mit seiner Skulptur auf dem Tanzboden seines Ateliers eine Walz wagt. Tony Craggs Skulpturen, um es noch einmal zu verdeutlichen, sind keine willkürlichen Ästhetizismen, sondern eine sichtbar gemachte Evolution, ein Schöpfungsakt – und nun bevölkern seine Eruptionen Horizonte, die eine aufgehende Sonne mit warmen Licht und Schatten gestrandet erblühen lassen – jetzt greifen seine Gebilde nach den Wolken, behindern die Winde, leiten sie um, erzeugen Wirbel-Strudel, in denen Schmetterlinge taumeln, vertreiben die Sterne, zerrupfen den Mond, zerbeulen den Regenbogen und erfinden das sich selbst Schaffende neu – ist Tony Cragg ein eigenes Element in der Welt der ehrenwerten Elemente – nennen wir sie Skulpturen – und er liefert ein neues hinreißendes Gegenüber in eine Welt, in der wir als Menschen entlassen sind. Er schafft Mitgeschöpfe, die das Geheimnis erschaffen zu werden, sichtbar machen. Er ist ganz und gar ein göttlicher Geselle. Meine Damen und Herren, ich habe versucht, Ihnen die Atmosphäre der Kunst des Tony Cragg aufscheinen zu lassen und hoffe, dass Ihnen die bizarre und doch harmonisch bewegte beunruhigende Seite seiner Kunst darin vor Augen tritt. Doch nun zum Künstler selbst. Tony Cragg ist ein ehrenhafter, großartiger Bildhauer – ein Vater der Kunst, denn er ist ein Mann, der andere Ansichten von Kunst, vergleichend zulässt – er ist ein Element, an dem es sich zu messen gilt – an dem man sich messen kann. Und es ist von ihm gewollt, dass man sich an ihm misst. Natürlich fällt es ihm – bei seinem geschlossenen massiven Werken leicht – sich jedem Vergleich mit den Größen seiner Zeit zu stellen, denn bedenken sie meine Damen und Herren, in der bildenden Kunst gibt es nichts Neues – nur neue Künstler –und Tony Cragg ist so ein neuer Künstler, der in einem ewig rotierenden Schaffen seine Seele, sein Genie einbringt. Er ist ein Vater, der in seinem Garten Eden spielen lässt und den Vergleich in seinem aufregenden Parcours sucht, denn nur im Vergleich erkennen wir Qualität über die Zeiten hinaus oder zurück oder im Heute lässt er sich vergleichen – und das meine Damen und Herren spiegelt Größe. Tony Craggs Skulpturengarten ist eine verspielte Kampfstätte aktueller Kunst – poetischer Begegnungen in friedlicher Idylle und ein hinter Bäumen verstecktes sich jagendes Belauern, sich misstrauisch oder liebevoll betrachtendes Geschöpfe-Sammelsurium, dessen auf Eigenständigkeit beharrenden Werke in ihrer Korrespondenz Ewigkeiten vermessen. Wenn wir diesen Park betreten, wandern wir auf Blickkontakten und in der Erinnerung, an das Gesehene erfahren wir plötzlich das ewig und lebhafte Gespräch eines gemeinsamen künstlerischen Bemühens: Tony Cragg erobert sich mit seinem Schaffen, seiner Bildhauerei eine führende Position in der Kunst, eine stets neugierige Position – und im besten europäischen Sinne – eine fragende Position denn wie Sie wissen werden in der europäischen Kultur Fragen mit Fragen beantwortet. Und da es keine Antworten gibt und unsere Kunst nur Fragen aufwirft für die es keine Antworten gibt sind wir als Künstler zum Scheitern verurteilt. Und doch ist unser Bemühen mit einer Leiter vergleichbar, auf der wir versuchen, den Himmel zu stürmen, denn eins wissen wir: wenn wir schon scheitern müssen, dann auf höchstem Niveau und hier ist Tony Cragg angelangt. Dieses Schicksal teilt er mit allen großen Künstlern, und er kämpft gegen diesen ewigen Fluch mit einer erstaunlichen und unermüdlichen Kraft an und dies so kraftvoll, dass der Fluch des Scheiterns für den Betrachter in seinen Werken ins Vergessen verhallt – und dafür Tony – hab unser aller Dank.“