24. April 2024

Unter dem Regenbogen

Ich kenne einen Engel, der gehört nur zu dir, und wenn du ihn rufst, dann ist er gleich hier.*

Tod und Leben gehören untrennbar zusammen. Ein Satz, den man leicht versteht, der unstrittig wahr ist. Doch das Begreifen hat kaum Wirkung, wenn es um die eigene Betroffenheit geht. Oder die eines Angehörigen. Schon gar nicht bei dem eigenen Kind.

Das Haus des Regenbogenlandes an der Torfbruchstraße in Düsseldorf betritt man nicht einfach so. Die Bezeichnung »Kinder und Jugendhospiz« löst Befürchtungen aus. Bei mir jedenfalls. Ich dachte: Du kommst mit Leid und Tod auf Tuchfühlung. Willst Du das wirklich? Kannst Du das ertragen?

Das Haus mit der Nummer 25 fällt nicht aus der Reihe, sieht man mal von der überdimensionalen Zufahrt ab. Gleich an der viel befahrenen Straße eine Kleingartenanlage und Wald dahinter. Hinter dem Haus Tennisplätze und manchmal auch Spaßtöne aus einer Sporthalle. Alles deutet auf Leben hin.

Mit Verzögerung erst habe ich begriffen, dass es auch im Hospiz nicht vordergründig ums Sterben, sondern ums Leben und Erleben geht. Das Leben von Kindern und Jugendlichen, die unter einer lebensverlängernden Erkrankung leiden. Der Tod also ist in diesem Haus präsenter als anderswo, dachte ich, als ich das Haus betrat. Das ist er wohl.*

Nein, ein »willkommener Gast« ist er nicht, der Tod. Das lässt Goethe seinen Mephisto im Faust sagen. Die Bezeichnung »Gast« ist unter dem Regenbogen die gebräuchliche Formulierung für alle, die dort einkehren. Der Besucher ist Gast, die dort untergebrachten Kinder sind Gäste und nicht etwa Patienten. Gäste sind auch Eltern oder Angehörige, für die in diesem Haus Zimmer bereitstehen.

Ich durfte auch zu Gast sein. Für ein paar Stunden. Jedes Haus hat eine eigene Sprache, auch dieses Hospiz. Wer das Innenleben gestaltet hat, verdient einen Sonderpreis, dachte ich. Das Leben ist unglaublich bunt, heißt die Überschrift über der Innenarchitektur. Schwarz hat keine Chance; die harmonischen Farben des Regenbogens wirken nicht wie aufgetragen, sonders inszeniert. Sehr behutsam, zurückhaltend.

Offen gesagt: Ich mochte erst einmal nicht glauben, dass das Konzept des gestalteten Optimismus sich würde durchhalten lassen. Jedenfalls nicht bis zu jenem Raum, der Abschiedszimmer heißt. Irr- tum. Selbst das Kühlbett in diesem farbigen Raum nehme ich nicht als Bedrohung wahr. Der Abschied vom eigenen Kind steht nicht unter Zeitdruck. Eltern dürfen bis zu sieben Tagen Abschied nehmen. Niemand versperrt dem Leben den Zugang. Die Architekten haben sogar ein Atrium mit offenem Dach geschaffen. Wenn die Sonne scheint, erleben Gäste unmittelbare Wärme. Und wenn es regnet oder schneit, dann ist das eben auch Leben.

Kranksein und Pflege machen keinen Lärm. Jedenfalls hier nicht. In einem Krankenhaus ist das ganz anders. An der Torfbruch- straße, so spüre ich, konzentriert sich alles auf das Wesentliche. Dass der Tod an diesem Ort seinen Schrecken verliert, hoffe ich, aber ich weiß es nicht. Kinder fühlen mehr als Erwachsene ihnen zugestehen wollen. Sie sprechen auch so und spielen unbefangen auch dort, wo die Endgültigkeit droht.

Dieses Hospiz vermittelt eine Hoffnung, die sich auch auf Angehörige überträgt: Die »andere Welt« wirkt wie eine Einladung, unter dem Regenbogen weiter zu leben. In der Apostelgeschichte heißt es: Wer bei Gott ist, ist nicht tot, auch wenn er nicht mehr auf Erden lebt. Wer Gott ist und wie er heißt: das bleibt in dem Haus offen. Es gibt im Garten ein Kruzifix, aber nicht in den Gästezimmern. Respekt vor Gläubigen, die keine Christen sind.

Mit Blick auf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kommt mir der Begriff »Berufung« in den Sinn. Den rechten Umgang mit dem nahen Tod kann man nicht erlernen. Man muss wohl das Besondere der Aufgabe erspüren: ob als Schwester oder Pädagoge, als Musik- therapeut oder Clown. Letzte Tage wollen erlebbar gemacht sein. Auch mit einem Therapiehund. Ob die Schriftstellerin Andrea Schacht mit ihrem Gedicht »Der Engel« (auch) eine Pflegerin oder einen Pfleger gemeint hat, mag dahinstehen.

Wenn in einem Düsseldorfer Gerichtssaal Geldbußen verhängt werden, kommt das Regenbogenland gut weg. Die Einrichtung wird regelmäßig bedacht, alle Richter kennen die Einrichtung. Von ungefähr kommt das nicht. Sicher: Wenn es um das Wohl von Kindern geht, reagieren wir äußerst sensibel. Spender wie Sponsoren sind leichter ansprechbar. Aber dennoch: In diesem speziellen Fall hat der Bekanntheitsgrad nichts mit Werbung über Social-Media-Kanäle zu tun, sondern mit Leistung. Es hat sich über die Region hinaus herumgesprochen, dass in Gerresheim im Rahmen eines austarierten Konzeptes professionell Betreuung und Begleitung geleistet wird. Für Tage oder Wochen, manchmal auch über Jahre.

An die Hand nehmen, nicht aufdrängen, zuhören, Zeit ver- schenken, trösten. Trauern auch. Ein sogenanntes Trauerteam ver- sucht, einen unerträglichen Abschied erträglich zu machen und neue Lebenslinien anzubieten. Für Väter und Mütter, oft auch für Ge- schwisterkinder. Schon bin ich erneut bei dem Begriff »Berufung«. Ich bin fest überzeugt davon, dass Knowhow nicht ausreicht, um für einen Engel gehalten zu werden. Seit 2004 gibt es das Regenbogenland. 2017 ist eine Akademie hinzugekommen. Sie will neben Fort- und Weiterbildung die Themen lebensverkürzende Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter, Sterben Tod und Trauer über Aktionen, Seminare oder Vorträge in die Gesellschaft tragen.

Mutig wagen sich die Köpfe der Akademie an ein heißes Thema heran. Von jeher wird in Kitas und Grundschulen über die Frage gestritten, ob Kinder die Themen Sterben und Tod verkraften können. Manche mögen aus dem eigenen Umfeld erfahren haben, dass Kinder von Bestattungen oft ferngehalten werden, weil man Irrita- tionen oder gar Traumata befürchtet.

Der Satz, das Leben und Sterben zusammengehören, erfährt hier eine willkürlich gesetzte Altersgrenze. Mit Überzeugung trete ich als Vater von vier Kindern für eine Enttabuisierung des Themas Sterben ein. Kinder verstehen auf ihre Weise. Übrigens auch Tiere tun das. Unlängst habe ich ein Video gesehen, in dem ein Knirps einen alten, ganz offenbar kranken Mann an die Hand nimmt und ihn quasi festhält. Zwei Monate später war dieser Mann tot. Will sagen: Auch Kleinkinder entwickeln Gespür für Leid oder ein zu Ende ge- hendes Leben. Längst hat sich die Akademie aufgemacht und sucht Kontakt zu Schulen.

Im Erdgeschoss des Hauses mit der Nummer 25 findet sich ein Raum mit Kennung: »Case Management« steht darauf. Ja sicher: Auch das Regenbogenland will gemanagt sein. Am besten so, dass die Gäste es nicht merken. Bei der Gründung waren Land oder Stadt außen vor – jedenfalls in der Ideenphase. Seit 1998 gibt es schon einen Förderverein. Ich will ihn nicht mit dem schillernden Begriff »prominent« bekränzen. Fakt ist, dass sich damals wie heute ausgewiesene Netzwerker um die Einrichtung kümmern und Sorge um die Finanzen tragen. Ehrenamtlich.

Die Einrichtung Regenbogenland ist teuer. Alle, die dort Ver- antwortung tragen, stellen die sogenannten Basics nicht in Frage: Die Gäste sollen sich in Obhut genommen fühlen und darauf ver- trauen dürfen, dass 1:1 Pflege stattfinden kann. Der Sparstift hat bei der Pflege Hausverbot.

»Ich bin dein Engel, gehöre nur zu dir.
Und wenn du mich rufst,
dann bin und bleib ich bei Dir.«*

So lässt Andrea Schacht ihr Gedicht enden. Wir Düsseldorfer Jonges, deren Präsident ich bin, wollen das wunderbare Regenbogen- land auch weiter unterstützen und in diesem Sinne ein bisschen Engel sein.

Wir sind stolz auf das Kinder- und Jugendhospiz Regenbogenland in unserer Heimatstadt Düsseldorf.

Mit heimatlichen Gruß

Wolfgang Rolshoven
Baas



* Aus: »Dein Engel« von Andrea Schacht, in: Andrea Schacht, Engel begleiten Dich. Geschichten für Kinder, Verlag TOSA, Dresden 2004